Obsolete Nachhaltigkeit

Gestern war ich mit dem Fahrrad in der Stadt unterwegs und fand wieder einen einsam deponierten Pappbecher am Wegesrand.

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Kaum hatte ich die Kamera wieder weggepackt und wollte mich auf das Fahrrad schwingen, fiel mir eine C&A-Reklame ins Auge, die hoch angehängt war. Also wieder runter vom Fahrrad, Kamera ausgepackt und Foto gemacht.

 

 

Absolut unverständlich ist mir der Hinweis darauf, dass das Kleid aus „100 % nachhaltigerer Viskose“ hergestellt sein soll. Man beachte bitte die Steigerung von „nachhaltig“!

Was ist eigentlich Viskose, aus der viele Kleidungsstücke gemacht werden? Im Internet finde ich eine sehr aufschlussreiche Seite zum Thema, wie Viskose hergestellt wird. Ich zitiere mal, was sich unter http://www.chemie.fu-berlin.de/chemistry/kunststoffe/viskosyn.htm) nachlesen lässt.

Der Ausgangsstoff für Viskose ist ein Baum, aus dem Cellulose gemacht wird.

Da ein Baum nicht nur aus Cellulose besteht, „muss diese erst einmal aus aus dem Zellstoff gewonnen werden, dies geschieht, in dem der Zellstoff „zunächst in 18-22%ige Natronlauge (das entspricht ungefähr 6 mol/l) getaucht wird, woraufhin sich Alkalicellulose bildet, das Natriumsalz der Cellulose, wobei ein Teil der Hydroxylgruppen ein Proton (H+) abgibt.“

Danach „wird die Alkalicellulose gepresst, um sie etwas zu trocknen, und zu einer krümeligen Masse zerfasert, die während der sogenannten „Vorreife“ 1½ Tage liegenbleibt. Im Laufe dieser Zeit wird die Alkalicellulose in kleinere Stücke gespalten (Depolymerisation). Im nächsten Arbeitsschritt wird die Alkalicellulose etwa drei Stunden lang bei 25-30°C mit Schwefelkohlenstoff (CS2) umgesetzt, wobei Cellulosexanthogenat entsteht, eine orangegelbe Masse, die wegen ihrer Zähflüssigkeit „Viskose“ genannt wird. Hierbei reagieren die Hydroxylgruppen, die im Reaktionsschritt vorher ihr Proton abgegeben haben, also insgesamt nur ein Teil der ursprünglich vorhandenen Hydroxylgruppen (um Viskose zur Herstellung von Fasern zu erhalten, muss im Durchschnitt auf 2 Glucosebausteine ein Molekül Schwefelkohlenstoff kommen, die Strukturformel unten ist also etwas übertrieben, soll aber zeigen, wo überall Schwefelkohlenstoff gebunden sein könnte).“

Im dritten Schritt „muss jetzt die sogenannte „Spinnlösung“ hergestellt werden. Hierfür wird das erhaltene Cellulosexanthogenat in 7%iger Natronlauge (c ≈ 2 mol/l) gelöst, die Lösung wird im Vakuum von Luft befreit und muss vor dem Verspinnen noch 2 – 3 Tage „nachreifen“, wobei Polymerisationen ablaufen, die Moleküle also wieder länger werden. Die gereifte Spinnlösung wird durch feine Düsen in ein „Fällbad“ oder „Spinnbad“ gepresst, d.h. in eine Lösung von Schwefelsäure (H2SO4) und Sulfaten wie Natriumsulfat (Na2SO4) und Zinksulfat (ZnSO4). Im Fällbad werden die Schwefelkohlenstoffmoleküle, die an die Cellulose gebunden sind, zum größten Teil wieder abgespalten, es enstehen Schwefel, Schwefelwasserstoff (H2S, das Zeug, das nach faulen Eiern riecht), Schwefelkohlenstoff (CS2) und Natriumsulfat (Na2SO4), und endlich auch die gewünschte Viskosefaser, die aus fast reiner Cellulose besteht.

Fazit: „Ein Problem hierbei [der Herstellung von Viskose] sind die entstehenden Stoffe, die teilweise ziemlich ungesund und umweltschädlich sind: Schwefelwasserstoff (H2S) und Schwefelkohlenstoff (CS2) sind Nervengifte und in gewissen Mengen tödlich (Schwefelwasserstoff ist fast so giftig wie Blausäure (HCN)), Schwefelkohlenstoff ist darüberhinaus außerordentlich leicht entflammbar. Der Faden muss nun noch gewaschen werden, um ihn von eben diesen ungesunden Stoffen zu befreien, danach wird er getrocknet und gebleicht, anschließend kann man ihn zu dickeren Fasern für verschiedene Verwendungszwecke weiterverarbeiten.

Was ist nun „100 % nachhaltigerer“ an dem C&A-Kleid aus Viskose, dass das Ausgangsmaterial für Viskose von einem Baum stammt? Ich frage jetzt gar nicht erst, ob der Baum für das T-Shirt aus nachhaltiger Forstwirtschaft stammte.

Nachhaltig

Alles muss nachhaltig sein, was nicht nachhaltig ist, kann vermutlich mittlerweile auch nicht mehr verkauft werden, weshalb jetzt schon der Komperativ benutzt werden muss, um nachhaltigerere Produkte von nachhaltigen Produkten abzusetzen.

Da lobe ich mir doch Christine und Ursula, die aus alten T-Shirts Beutel nähen, egal ob diese aus „100 % nachhaltigerer“ Viskose bestehen oder aus ganz anderen Materialien.

 

Ganz besonders begeistert war ich, als mir die Deutsche Umweltstiftung „Nachhaltige Weihnachten“ im Dezember 2014 wünschte.

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Nun steht Ostern vor der Tür und deshalb hier noch ein kleines Verpackungsexperiment.

 

Eine normale Packung Ferrreo Küsschen kostet 2,49 Euro. Normal bedeutet, dass die Schokolade nicht in einer speziellen Verpackung angeboten wird, sondern in der „Jahreszeitlosen“.

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In der Verpackung befindet sich 20 Stückchen einzeln verpackte Schokolade, der Kilopreis wird mit 14,00 Euro angegeben.

Nun möchten wir Kunden ja Ostern gerne etwas Besonderes verschenken, deshalb können wir die Schokolade auch in einer Verpackung kaufen, die einem Osterei ähnlich ist.

 

In dieser Verpackung befindet sich nur 17 einzeln verpackte Stückchen Küsschen mit einem Gesamtgewicht von 151 Gramm, die da 4,49 Euro kosten. So, jetzt beginnt das Rechnen:

Wenn 151 Gramm 4,49 Euro kosten, was kostet dann ein Kilo von diesen Ferrero Küsschen?

Ja, richtig: 1000 Gramm (1 Kilo) Ferrero Küsschen in der Osterei-Verpackung kosten 29,73 Euro. Nun kann sich jeder selber ausrechnen, dass wir für die Küsschen in jahreszeitlich gerechter Verpackung mehr als das Doppelte bezahlen.

Und was passiert mit der Osterei-Verpackung, wenn alle Küsschen aufgegessen sind? Ich nehme mal an, dass sie im Müll landet, wie auch die jahreszeitlose Verpackung, denn die Verpackung essen wir ja nicht oder hebt vielleicht der eine oder andere die Verpackung auf?

Mein kleines Experiment lässt sich im Übrigen auf alle Süssigkeiten im Osterkleid, auch wenn dieses nicht aus 100 % nachhaltigerer Viskose“ hergestellt wurde, übertragen und deshalb wünsche ich jetzt schon einmal allen

 

Frohe Ostern

 

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Ein Kommentar zu “Obsolete Nachhaltigkeit”

  1. Ayna schrieb:

    Jan 22, 17 at 20:57

    Nachhaltigkeit finde ich sehr wichtig. Für mich ist das ein wichtiges Thema, dass leider noch zu selten angegangen wird! Hoffentlich wird sich das bald ändern!


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