Museumsreif

Vor ein paar Wochen habe ich einen Vortrag zu dem Thema „Was bleibt? Leben wir in einem Plastikzeitalter“ gehalten.

Um die Zuhörer in das Thema der Müll-Archäologie einzuführen, habe ich unter anderem darauf hingewiesen, dass jedes Objekt, welches man auf der Straße findet, das Potenzial hat, im Museum zu landen.

Wie ich gestern erfahren habe, hat bereits ein moderner Gegenstand die Museumsreife erlangt: Die Plastiktüte.

Das Württembergische Landesmuseum hat von Oktober 2019 bis Juli 2020 der Plastiktüte eine Sonderausstellung gewidmet.

Wiederum vor ein paar Wochen habe ich mit einem Journalisten einen Stadtspaziergang gemacht und dabei fiel mir auf, dass Plastiktüten aus dem öffentlichen Raum fast verschwunden sind.

Archäologen, die vielleicht in der Zukunft eine begrünte Mülldeponie ausgraben werden, werden feststellen, dass sich mit dem Jahr 2016 das Aufkommen der Plastiktüten stark verringerte.

Was ist geschehen?

Seit dem Jahr 2016 dürfen Plastiktüten nur noch gegen Bezahlung abgegeben werden. Der Kostenfaktor wird sicher eine große Rolle dabei spielen, dass Plastiktüten langsam aber sicher aus meinem Blickfeld verschwinden. Aber Plastiktüte ist nicht gleich Plastiktüte, denn es wird zwischen „dünner“ und „sehr dünner“ Plastiktüte unterschieden.

Plastiktüten eigenen sich hervorragend für archäologische Typologien, erzählen doch ihre Aufdrucke ganze Geschichten. Über die Aufdrucke auf den Plastiktüten kann zum Beispiel festgestellt werden, was für Geschäfte es im 20./21. Jahrhundert gab: Lebensmittel, Bekleidung, Spielwaren, … . Man wird sowohl Geschäftsketten als auch Indivudualgeschäfte erkennen können. Die Aufmachung der Tüten, ihre Farben, ihre Logos, alles wird von Interesse sein, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede erkennen zu können.

Besonderes Interesse wird das Material und seine Herstellung hervorrufen. Vielleicht wird es auch möglich sein, soziale und oder pekuniäre Unterschiede festzustellen. Wer verwendete welche Plastiktüte? Gibt die Plastiktüte Auskunft über die soziale Stellung des Nutzers innerhalb der Gesellschaft.

 

Richtig interessant wird es, wenn Tüten zum Beispiel mit einer anderen Schrift freigelegt werden. Dann stellt sich natürlich die Frage, aus welchem Land die Tüte ursprünglich stammte. Es wird gefragt werden, ob dieser Importartikel die hiesige Plastiktütenproduktion beeinflusste.

 

Besonderes Interesse muss den Fragen entgegengebracht werden, warum es überhaupt Plastiktüten gab und welchen Verwendungszweck sie erfüllten. Über die vielen Logos lässt sich natürlich darauf schließen, dass darin Waren zum Transport aufbewahrt wurden. Aber es gibt noch andere Nutzungen, so zum Beispiel als Mülltüte oder Abdeckung des Fahrradsattels.

Diese unterschiedliche Nutzung der Tüten könnte beantwortet werden, vorausgesetzt, Alltagssituationen bleiben unter bestimmten Bedingungen, wie zum Beispiel unter einer Lavaschicht, erhalten.

 

Werden alle Plastiktüten aus der Deponie gefischt, können, nachdem die Tüten sortiert und katalogisiert wurden,  statistische Berechnungen erfolgen, welche Tüten von welchem Händler am häufigsten genutzt wurden, was wiederum viel über das Konsumverhalten des 20./21. Jahrhundert aussagen wird. Einen kleinen Schönheitsfehler wird diese Berechnung haben, gibt es doch die thermische Verwertung, bei der all die schönen Artefakte verbrannt werden.

Waren es bisher die „stabileren“ Plastiktüten, die im Prinzip vom Markt genommen wurden, so wird im nächsten Monat ein novelliertes Verpackungsgesetz in Kraft treten und auch die dünnen Hemdchentüten werden uns verlassen, hingegen bleiben die sehr dünnen Plastiktüten uns aus Hygienegründen erhalten. Dünn bedeutet eine Wandstärke von 15-50 Mikrometer, Sehr dünn bedeutet eine Wandstärke von weniger als 15 Mikrometern.

Solche Gesetze werden sich in Deponien widerspiegeln und die Archäologie der Zukunft vielleicht vor große Rätsel stellen.

Sollte ich eine Prognose abgeben, welcher Gegenstand als nächstes Museumsreife erlangen wird, ich würde auf die To-go-Becher tippen.

 

 

 

3 Kommentare zu “Museumsreif”

  1. Stefan Wenzel schrieb:

    Dez 10, 21 at 19:31

    Liebe Eva,
    aus kulturhistorischer Sicht ist es fast schade, dass Plastiktüten so schnell zerfallen. Sonst müsste man glatt anfangen, sie zu sammeln.
    Viele Grüße,
    Stefan

  2. Usch schrieb:

    Dez 11, 21 at 17:34

    Ja, daran habe ich – wie Stefan – auch schon gedacht.
    Jedenfalls besonders schöne, nicht alltägliche Exemplare aufzubewahren….
    Ob wir uns eines Tages nach den Dingern zurück sehnen werden?
    Wenn, dann wohl eher danach als nach
    to-go-Bechern!

  3. Khando schrieb:

    Dez 11, 21 at 19:06

    Was eine Tüte bedeuten kann, ist hier ab Sekunde 45 zu sehen (Trailer Film The Gold Lie):https://m.youtube.com/watch?v=jPjP1u7r8dA


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