In der letzten Woche haben Sarah und ich ein müll-archäologisches Schulprojekt in einer Neuköllner Schule durchgeführt, das von der Stiftung Naturschutz Berlin finanziert wurde.
Dass mich das Thema „Müll“ sehr interessiert, muss ich ja nicht noch beteuern, aber die Projektwoche mit einer 4. Klasse war auch für mich verblüffend.
Die Schüler:innen der 4. Klasse haben es geschafft, das Müllverhalten unserer Gesellschaft mit einfachen Worten auf den Punkt zu bringen, ohne dass sie sich vor dem Projekt jemals in irgendeiner Weise Gedanken über Müll gemacht hatten. Ich wünsche mir, dass ihre Erkenntnisse ein wenig vorhalten.
1. Tag: Wir lesen im Müll
Müll-archäologische Projekte beginnen immer mit dem Müll, den die Schüler:innen mitbringen. Auch diesmal haben wir versucht im Müll zu lesen.
Besonders bewundert habe ich einen Jungen, der im Klassenzimmer einen alten Fahrschein der BVG gefunden hatte. Anhand der Angaben auf dem Fahrschein kam er zu dem Ergebnis, dass der Fahrschein der Klassenlehrerin aus der Tasche gefallen sein musste.
Schritt für Schritt hat er sich an diese Vermutung heran getastet. Er stellte fest, dass es ein Kurzstreckenticket war und in der XY-Allee abestempelt wurde. Der Preisangabe auf dem Fahrschein entnahm er, dass es sich um den Fahrschein eines Erwachsenen handelte. Er selbst schränkte ein, nicht sagen zu können, in welche Richtung der Fahrschein genutzt wurde. Konnte aber die in Frage kommenden Haltestelle in beide Richtungen nennen, welche zum Aussteigen hätten genutzt werden können. An Hand der Uhrzeit stellte er fest, dass es sich um unterrichtsfreie Zeit handelte. Den Tag konnte er natürlich auch vom Fahrschein ablesen. Als er alle Fakten zusammen getragen hatte, zog er noch den Fundort des Fahrscheins in seine Überlegungen ein: vor dem Lehrerpult in seiner Klasse. Dieser letzte Faktor veranlasste ihn anzunehmen, dass seine Lehrerin den Fahrschein verloren hatte. Die Klassenlehrerin bestätigte, dass es sich nur um ihren Fahrschein handeln könne, da sie an dem betreffenden Tag um die aufgedruckte Uhrzeit zu ihrem Zahnarzt gefahren sei.
2. Tag: Material und Rohstoffe
Den 2. Tag verbrachten wir damit, den mitgebrachten Müll nach Materialgruppen zu sortieren. Der größte Müllberg, der auf dem Tisch lag, war natürlich ein Plastik- und ein Papierberg. Wie sich herausstellte, war vielen Schüler:innen nicht bewusst, aus welchem Rohstoff das jeweilige Material hergestellt wird.
In der letzten Zeit frage ich meine Mitmenschen häufig, ob sie den wüssten, aus welchem Rohstoff Plastik gemacht wird. Die wenigsten wissen, dass es sich um Erdöl handelt.
Wir haben uns die Etiketten in unserer Kleidung angesehen und festgestellt, dass diese aus Baumwolle, Wolle, Polyacryl oder aus einer Mischung der verschiedenen Materialien hergestellt wird.
Die letzte Frage, die an diesem Tag beantwortet werden wollte, lautete: welcher Rohstoff wächst nach und welcher ist endlich?
Als die Schüler:innen feststellten, dass Erdöl nicht nachwächst, unserer größter Müllberg aber ein Plastikberg war, war das Erstaunen groß.
Dieser 2. Projekttag stand für uns alle unter dem Motto „Plastik“. Einige der Schüler:innen hatten von dem an einem spanischen Strand an Plastik verendeten Pottwal gehört und uns gebeten, den letzten Projekttag über „Plastikmüll im Meer“ reden zu dürfen.
3. Tag: Alternativen
Der dritte Tag ist den Alternativen zu den ganzen Verpackungsbergen aus Plastik und der Fast Food-Kultur gewidmet.
Sarah und ich sind irgendwann einmal zu McD… gegangen, haben dort gegessen und anschließend unseren Müll eingepackt. Dieser McD… – Müll war dann auch Gegenstand einer näheren Betrachtungsweise. Wenn wir den McD…-Müll auf den Tisch kippen, sind immer alle Schüler:innen begeistert. Wenn wir fragen, ob zu Hause das Essen auch auf Pappbechern und Papptellern serviert wird, wird dies natürlich verneint.
Diesmal haben wir den Schüler:innen gesagt, dass wir auch nicht wissen, was McD… mit dem ganzen Müll macht und ob er getrennt wird. Eine Schülerin sagte, dass sie ihren Vater fragen wird, da er mal bei McD… gearbeitet hat. Am nächsten Tag erfuhren wir, dass McD… den Müll zumindest trennt.
Ob die Schüler:innen demnächst auf einen Besuch bei McD… verzichten, wage ich zu bezweifeln, da alle der Ansicht sind, dass das Essen dort so gut schmeckt.
4. Tag: Plastikmüll im Meer
Im Fall des an einem spanischen Strand verendeten Pottwals waren es die Plastikplanen, die im europäischen Garten für Obst und Gemüse die Gewächshäuser abdecken und anscheinend zum Teil im Meer entsorgt werden, die zum Tod des Wals führten, da sein Magen und Darm diese Nahrung nicht verdauen konnte.
Aber es sind ja nicht nur so große Plastikteile, die im Meer schwimmen, sondern vor allem die Meerjungfrauentränen, die Plastiktropfen, die sich mittlerweile an jedem Strand finden lassen und die entstehen, wenn das Plastik im Meer durch Sonneneinwirkung zerfällt.
So wie der Pottwal dachte, dass er seinen hungrigen Magen mit einem besonders großen Leckerbissen füllen könne, so freuen sich die kleinen Fische über die vielen kleinen Meerjungfrauentränen, die viele von ihnen für mundgerechte Nahrung halten. Dann kommen die großen Fische und fressen die kleinen Fische und irgendwann kommt der Fischer und fängt die großen und kleinen Fische.
An dieser Stelle hatten die Kinder den Kreislauf verstanden und ein Schüler rief ganz entsetzt: „Dann esse ich ja das Plastik!“
Mein Resümee
Wir müssen eine sehr reiche Gesellschaft bzw. Kultur sein. Keine Generation vor uns hat sich den Luxus erlauben können, Geschirr nur einmal zu verwenden und flüssiges / schwarzes Gold allein dafür zu nutzen, um es auf den Müll zu werfen.
Welcher Wanderer durch die Wüste kann es sich erlauben, seinen Wasservorrat zum Haare waschen zu nutzen?
Noch ein Literaturtipp zum Schluss
Die Fahrzeiten mit der BVG nach und von Neukölln habe ich genutzt, um ein amerikanisches Jugendbuch zum Thema Müllvermeidung zu lesen. Ich kann es allen, auch Erwachsenen, nur empfehlen:
Donna Latham, Garbage: Investigate What Happens When You Throw It Out with 25 Projects
liebe eva,
heute kam ich von einer müllaktion aus einem stück landschaftsschutzgebiet im odenwald, dass uns für ein lehr- und lernprojekt von der kommune zur vergügung gestellt wurde. es gibt auf diesen ca. 50 qm so unglaublich viel müll, jemand hatte es einst als garten gepachtet!, dass wir auch schon auf den begriff müll-archäologie gekommen sind. nun google ich das hier und finde deine seiten … ich bin erfreut, dass sich jemand dieses themas bildungstechnisch annimmt … seit zwie jahren sind wir auf diesem grundstück unterwegs und kein ende in sicht, so scheint es … es ist ein sehr idyllisches fleckchen erde und der müll liegt außer in den hütten, vor allem unter einer dicken schicht humus und der rand des geländes ist mit unglaublich viel eternitplatten abgeteilt — UND: wir machen eine unglaublich schöne erfahrung dabei, nämlich dass wir die natur förmlich aufatmen hören, wenn wir wieder ein stückweit viel müll der erde entrissen haben … die kraft, die wir in diese aktion hinein investieren, schenkt uns die natur zurück … wir spielen mit dem gedanken, dieses erlebnis auch anderen menschen zugänglich zu machen, zumal wir glauben, dass unsere kindergeneration, dies eh früher oder später tun muss, den müll so gut es geht, so zu entsorgen, dass die erde wieder atmen kann …
schön, diesen blog gefunden zu haben
herzlich mara susanne