Das ist ein Sühnekreuz, es steht an der Bundesstraße 198 in der Uckermark, in der Nähe von Prenzlau.
Sühnekreuze sind Steinkreuze, die im Mittelalter im Zusammenhang mit einem Richterspruch, gemeinhin handelte es sich um Mord, vom Täter aufgestellt wurden, um seine Tat zu sühnen.
Sühnekreuze sind nonverbal, zeigen aber häufig die Waffe, mit der gemeuchelt wurde. Auf dem hier dargestellten Sühnekreuz ist zentral in einem Kreis eine Hand dargestellt.
Eine der Sagen für das hier dargestellte Sühnekreuz berichtet, dass es drei Brüder gab, von denen einer ein Kaufmann war, die anderen zwei Wegelagerer. Als der Kaufmann zur Mühle ritt, wurde er in der Nähe einer Kiesgrube überfallen. Im Kampf tötete er den Räuber, bevor dieser flüchten konnte. Auf seinem Rückweg wurde er ein zweites Mal überfallen und wieder konnte er den Räuber tödlich überwältigen. Bevor dieser starb hauchte dieser: „Zweifacher Brudermörder!“ In diesem Augenblick begriff der Kaufmann, dass er seine Brüder getötet hatte. Zum Zeichen seiner Sühne errichtete er das oben dargestellte Kreuz.
Als ich gestern an diesem Sühnekreuz vorbei fuhr, nahm ich eine Papiertüte davor wahr.
Es handelte sich um eine Bäckereitüte, genauer gesagt, um eine Tüte der Großbäckerei Schäfer’s. Schäfer’s gibt es in der Uckermark nicht. Die nächste Filiale dieser Bäckerei befindet sich in Eberswalde (Schorfheide) und dann erst wieder in Berlin. Nördlich von Prenzlau gibt es solche Bäckereien nicht.
In der Tüte befanden sich das übliche Papierblatt, mit denen das Bäckereipersonal häufig die gewünschten Produkte in die Tüte packt. Lebensmittel waren in der Tüte nicht nachweisbar, sie wurden vermutlich aufgegessen.
Neben dem Papierblatt und einer Papierserviette befand sich noch eine zweite, schwarze Tüte aus Plastik in der Papiertüte, die mit einem Knoten verschlossen war.
Bei diesem Beutelchen handelte es sich eindeutig um einen Hundekotbeutel. Dass die Entsorgung dieser Hinterlassenschaften einige Schwierigkeiten mit sich bringt, habe ich schon in einem anderen Artikel beschrieben: Trendstadt Berlin.
Als Archäologin betrachte ich die Papiertüte als einen Importartikel, da solche Tüten bis zum jetzigen Zeitpunkt regional nicht nachweisbar ist. Der Inhalt der Tüte deutet darauf hin, dass es sich höchstwahrscheinlich um einen Touristen gehandelt hat, der sich seinen Weg aus Eberswalde oder Berlin mit Kuchen versüsste. Der Tourist saß nicht allein im Auto, sondern war mit seinem Hund unterwegs, der unterwegs sein Geschäft verrichten muss. Die Exkremente des Hundes wurden mit Hilfe des Kotbeutels eingesammelt und im Auto verstaut.
Da gerade in Großstädten die Hundebesitzer mit öffentlich verteilten Hundekotbeutel versorgt werden, wird angenommen, dass es sich um einen Hauptstädter handelte.
Nun wird es etwas schwierig: unser Hundebesitzer oder -besitzerin war so umweltbewusst, dass der Hundekot, der, obwohl natürlich, eingesammelt wurde, vermutlich mit dem Hintergedanken, diesen ordnungsgemäß zu entsorgen.
Aber anscheinend blieb es bloß bei dem Vorhaben.
Wie so oft folgte dem Plan keine Tat. Der Kotbeutel verschwand in der Bäckereitüte und diese wurde allem Anschein nach irgendwann aus dem Autofenster geworfen, wo sie vor dem Sühnekreuz liegen blieb.
Was den Autofahrer dazu veranlasste, die Papiertüte aus dem Auto zu werfen, darüber kann nur spekuliert werden.
Und da das, was der Prähistoriker nicht kennt, er kultisch oder mythisch nennt, ist anzunehmen, dass es sich bei dem Herauswerfen des Mülls aus dem Auto um eine Opferhandlung am Sühnekreuz handelte, in der die zugeknotete Plastiktüte die Hauptrolle übernimmt.
Es wird vermutet, dass der Wegwerfer annahm, dass es sich bei der auf dem Sühnekreuz dargestellten Hand um eine ganze besondere Hand handelt, um die Hand eines Sämannes. Die Exkremente des Hundes belegen damit eindeutig die Huldigung an eine Agrar-Gottheit, auf dass die nächste Ernte üppig ausfallen werde, weshalb die Hundekottüte nicht in einem Abfalleimer entsorgt wurde. Um nicht mit seiner Gabe zu kokettieren, hat der Spender sie mit einer weniger wertvollen Tüte verhüllt.