übriggebliebene Grundstücksecke
Beim Bau der Stadtbahn, also vor vielen, vielen Jahren, ist an der Ecke der Klopstock- und Flensburger Straße eine sogenannte Baumaske übriggeblieben, d.h. der Besitzer des Grundstückes Klopstockstr. 25, ein Rittergutsbesitzer, behielt die Spitze des Geländes an der Ecke der beiden Straßen, weil sie für den Bahnbau nicht gebraucht wurde.
Dieses Gelände erfreut sich nun des anmutigen Namens „Der Müllkasten an der Klopstockstraße“. Im Mai 1924 ersuchte das Bezirksamt Tiergarten die Baupolizei, für die Instandsetzung des Geländes zu sorgen, weil es zur Ablagerung von allerhand Unrat benutzt wurde. Dem Grundstücksbesitzer ging auch eine polizeiliche Verfügung zu, den „Vorgarten“ ordnungsgemäß anzulegen. Der Besitzer erhob aber Einspruch mit der Begründung, daß es sich um keinen eigentlichen Vorgarten handle und daher die gesetzlichen Bestimmungen über Vorgärten nicht in Anwendung gebracht werden könnten.
Der Mann bekam recht, und der „Müllkasten“ blieb. Auch ein Versuch des Eisenbahnfiskus zum Erwerb der Ecke scheiterte, weil der Eigentümer des Restgrundstückes erklärte, eine Hypothek nicht beseitigen zu können, die auf dem Grundstück ruhe, und die nach der Auswertung ihrem Betrage nach höher sei als der ursprünglich vereinbarte Kaufpreis für den Geländestreifen.
Jetzt hat nun der Polizeipräsident dem Besitzer aufgegeben, das Grundstück Ecke Klopstock- und Flensburger Straße durch einen hohen Zaun umgeben zu lassen, damit es nicht mehr als Abladestelle benutzt werden kann. Dieser Aufforderung ist jetzt [1926] entsprochen worden. (Vossische Zeitung, Morgenausgabe, 17. Dezember 1926)
Mit dem Bau der Stadtbahn im Jahre 1875 wurden auch die Bauarbeiten für den Bahnhof „Bellevue“ begonnen, der am 7. Februar 1882 eröffnet wurde.
Fast zwei Jahre benötigte die Obrigkeit, um den vielleicht schlitzohrigen Besitzer des Grundstückes davon zu überzeugen, gegen die Vermüllung seines Grundstückes vorzugehen. Erstaunenswert finde ich, dass Bezirksamt und Polizei sich überhaupt um den „Müllkasten“ gekümmert haben. Schade, dass es kein Foto von dem „Müllkasten“ gibt.
Das Grundstück, das 1926 als „Müllkasten“ bezeichnet wurde, hat heute die Hausnummer 5. Auch heute gibt es noch einen kleinen „Vorgarten“, der ja angeblich keiner ist, aber der hohe Zaun ist nicht mehr vorhanden. Doch anscheinend wird der Ort immer noch ein wenig als „Müllkasten“ genutzt.
Von „Müllkasten“ kann also nicht mehr die Rede sein, auch wenn sich im Gebüsch vereinzelt Pappbecher und Dosen finden lassen.
Sollten heute die Ordnungsämter auf die Idee kommen, alle „Müllkästen“ im öffentlichen Raum mit hohen Zäunen umgeben zu lassen, Berlin wäre dann wohl vollständig verbrettert und vernagelt.
Und dann noch ein weiterer kleiner historischer Hinweis zur Flensburger Straße.
Von der gegenüberliegenden Straßenseite, Flensburger Str. 12 (heute Flensburger Str. 22) schrieb 1895 ein berühmter Zeitgenosse, der sich im Exil in Berlin befand, folgendes an seine Mutter in Simbirsk:
Ich bin hier gar nicht schlecht untergekommen : es sind nur wenige Schritte zum Tiergarten (einem herrlichen Park, dem schönsten und größten von Berlin), zur Spree, in der ich täglich bade, und zur Stadtbahnstation. Die Bahn durchquert die ganze Stadt (über den Straßen): alle 5 Minuten fährt ein Zug, so daß die Verbindung mit der <<Stadt>> (Moabit, wo ich wohne, gilt eigentlich schon als Vorort) sehr bequem ist …“ (zit. nach H.Weber, Lenin, rororo 50168, S.31)
Gemessen an den Worten Lenins hat sich einiges geändert: Moabit ist jetzt Berlin-Mitte, in der Spree sollte man vielleicht doch nicht baden und einen 5-Minuten-Takt bei der S-Bahn wünschen sich sicher viele. Dafür ist der Tiergarten immer noch ein „herrlicher Park“.
Hallo Eva,
wie bist Du auf die Geschichte mit dem „Müllkasten“ gekommen?
Ist ja total irre, was du so „auskramst“, Eva! Danke! Nicht zu glauben, Wladimir Iljitsch hat in der Spree gebadet?! Wie sauber muß sie mal gewesen sein!
Indem ich in alten Zeitungen gegraben habe.
Was sind hier alle schnell! Ca. 1 Stunde und alle haben sich schon um Müll gekümmert! Was schlummern hier für ungenutzte (?) Kapazitäten.
Danke für den Artikel. Wirklich interessant. Ich kann mir die handelnden Personen richtig gut vorstellen.
In dem beschriebenen Haus auf der „Baumaske“ war lange Jahre im Erdgeschoss ein kleiner Laden für Modelleisenbahnen untergebracht, der aber schon länger dicht gemacht hat. Jungsspielzeug – ich war also nicht drin.
…ja, über Berliner Straßenecken könnte viel erzählt werden, wenn, ja wenn uns mehr Zeit für die so nahe liegenden kleinen Histörchen bliebe. Wir würden staunend unsere Umgebung viel bewußter wahrnehmen und könnten unseren Kindern Zusammenhänge antragen, die manch einen ihrer Lehrer in Staunen versetzen würde. Aber wir lassen uns lieber, u. a., zu zeitraubendem Müllsortieren und gedankenlosem Konsum vieler Art verführen. Ich hoffe, dass Dein Beitrag dazu verleiten möge, dass die „Kloenbaddel“ unter uns es Dir gleich tun.
Ein Müllverwirrter
Schon in meiner Zeit als Lehrerin habe ich mich nicht davor gedrückt, meine Schüler daran zu beteiligen, Müll zu vermeiden und Müll (auch von anderen weggeworfen) aufzusammeln, um den Schulhof und das Schulgebäude ansehnlich zu erhalten. Da ich mir nicht zu schade war, selbst mitzumachen, hatte ich viele Helfer. Wenn ich heute durch unseren wunderbaren Tiergarten oder durch die sich zu einer interessanten Straße entwickelnde Kirchstraße gehe, bemühe ich mich, etwas zur Sauberkeit beizutragen, indem ich groben Müll sammle. Dabei denke ich sehr gerne an meine Helfer und Helferinnen und wünschte sie mir zurück an meine Seite.