Räucherwerk

Rauchopfer gibt und gab es zu allen Zeiten und in allen Kulturen. Auch in unserer gegenwärtigen Kultur ist die Sitte, Rauchopfer den Göttern darzubringen, weit verbreitet, wie sich überall in der Stadt nachweisen lässt.

Neben Plastiktüten (als Opfermacher) und Pappbechern (Trankopfer) gibt es einen dritten Gegenstand, der allgegenwärtig ist und der aus unserem urbanen Leben nicht mehr wegzudenken ist: der Glimmstängel.

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Müll-Archäologisch möchte ich heute nur einen Aspekt dieser Rauchopfer ein wenig näher untersuchen, auch wenn die Versuchung groß ist, eine religionswissenschaftliche Abhandlung darüber zu schreiben.

Rauchopfer werden an vielen Stellen in der Stadt dargebracht. Viele dieser Opfer müssen als to-go-Opfer bezeichnet werden, die auch mal schnell im Gehen dargebracht werden. Hier scheint es sich um sehr allgemeine Opfer zu handeln, da sie sich keiner bestimmten Gottheit zuordnen lassen und anscheinend noch irgendeiner uralten animistischen Tradition verhaftet sind.

 

Gehäuft treten die Rauchopfergaben allerdings an Treppen auf, die in den Untergrund der Stadt führen. Alle diese Treppen in die Unterwelt sind mit einem blauen Schild mit weißer Schrift gekennzeichnet. Dabei lässt sich beobachten, dass auf allen Schildern „U-Bhf“ steht, die dahinter stehenden Bezeichnungen wechseln, auch wenn es vorkommt, dass zwei oder mehr solcher Eingänge die gleiche Bezeichnung tragen. In diesem Fall liegen die Abgänge räumlich immer sehr nah beieinander.

 

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Vor dem Eingang in die Unterwelt befindet sich immer ein engmaschiges Gitter auf dem Boden und die Seiten sind von eisernen Streben begrenzt.

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Diese Eingänge sind es, an denen die Opfer dargebracht werden, denn das Heiligtum im inneren der Erde ist fast frei von Opfergaben. Es scheint sich um ein Sakrileg zu handeln, im Allerheiligsten Rauchopfer darzubringen. Eher selten befinden sich die Rauchopfergaben auf den Treppen in das unterirdische Gemäuer. Allerdings gibt es in Berlin in dieser Hinsicht bezirksregionale Unterschiede, was vielleicht den verschiedene Lehrmeinungen in der Ausübung der Opfer und dem Lokalkolorit der jeweiligen Kultgemeinde geschuldet ist.

Konzentrieren wir uns auf den Dromos [Gang, der zu einem Raum führt]. Bevor nun ein Gläubiger den Weg in das unterirdische Heiligtum antritt, steckt er sich eine mit den geschnittenen und getrockneten Blättern der Tabakpflanze gefüllte weiße Papierhülle mit einem kleinen aus Cellulose abschließenden Ende in den Mund und saugt ganz gierig daran. In der Regel wurde dieser Gegenstand schon im Herannahen an den Eingang des Heiligtums befeuert.

Da die Opfergabe nicht im Allerheiligsten abgelegt werden darf, geschieht dies nun gut sichtbar im Eingangsbereich der Kultstätte.

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Opfergaben im Tempel vermitteln zwischen Göttern und Menschen. Sammlungen an Kultstätten dienen dazu, dem Menschen Transzendentes zeichenhaft vor Augen zu führen, nicht jedoch im Sinne einer bloßen Erinnerung, die Gegenstände werden vielmehr als des Göttlichen teilhaftig gedacht.“ [Anne-Katrin Hillebrand, Erinnerung und Raum: Friedhöfe und Museen in der Literatur, S.172]

Wie es scheint, bereitet sich der Rauchopfer-Darbietende auf den großen, gelben, quietschenden und stinkenden Eisendrachen vor, der im Inneren des Heiligtums schlummert und sich im Durchschnitt alle vier Minuten den Gläubigen zeigt. Mit dem Glimmstängel tritt der Opferende nun mit seiner Gottheit in Kontakt und nimmt an dem stinkenden Aspekt des Verehrenden teil, er wird dem Göttlichen verbunden und seine Fahrt mit der Stahl gewordenen Gottheit sollte nun ein gutes Ende nehmen.

Häufig werden die Glimmstängel aber nicht nur einfach am Eingang der Kultstätte abgelegt, sondern wie in einem Opferstock in das engmaschige Gitter am Boden geworfen, so dass der Glimmstängel dort für alle Zeiten seiner Aufgabe als Gabe an das Verehrungswürdige nachkommen kann.

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Glimmstängel, die im Außenbereich des Heiligtums abgelegt wurden, werden in der Regel von den Priestern in Orange an die Außenmauer der Kultstätte gekehrt, damit die Kraft der Fürbitte nicht verloren geht.

 

Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, warum der Klerus dieser 196 unterirdischen Kultstätten nicht irgendwelche Opferschalen aufstellt, in denen der Gläubige seine Glimmstängel hinein legen kann. Dies ist im Buddhismus für die Räucherstäbchen längst gang und gebe.

 

Die Folge eines solch gedankenlosen Umgangs seitens des Klerus‘ führt dann auch zu Tempelräubereien, wie am Sonntag im Tagesspiegel zu lesen war:

Dreckskind – Samstag am Zionskirchplatz. Ein Kleinkind trottet seiner Mutter hinterher und sammelt alle Zigarettenstummel auf, die es finden kann. Sagt die Mutter auf Schwäbisch: ‚Du muscht hier net uffräume, gell?‘ Antwortet das Kind gequält: ‚Aber s’isch so dreckig hio.‘“ [Der Tagesspiegel, 26. April 2015, Sonntags, S.8]

Anscheinend gehörten weder Mutter noch Kind dieser hier beschriebenen Kultgemeinde an, die es in ihrem Heimatland vielleicht so auch nicht gibt, denn sonst hätten sie wissen müssen, dass es sich nicht um Dreck handelt, sondern um Opfergaben und der Vorgang des Wegwerfens auch nichts mit Aufräumen zu tun hat.

PS.

Die Opfergaben in Form von Glimmstängeln kann man in Geschäften und Automaten kaufen, die meist sehr gut gesichert sind, was darauf hindeutet, dass es sich um sehr edle Opfergaben handelt; an den Automaten muss man sogar Plastikkarten einführen, um sich als Kultmitglied ausweisen, bevor man die Opfergaben kaufen kann.

Die Packung, in der die Glimmstängel verkauft werden, nennt man eine Faltschachtel und dies ist die aufwändigste Verpackung, welche die Faltschachtelindustrie anbietet, da sie mit der Opfergabe zusammen gefaltet wird. Leider haben die wenigsten Gläubigen davon Kenntnis, so dass die Verpackung meist achtlos weggeworfen wird und zwar nicht im Bereich des Tempelbezirks.

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Und wer noch mehr über unsere abstrusen Verhaltensweisen lesen möchte, dem empfehle ich:

Herbert Rosendorfer, Briefe in die chinesische Vergangenheit, dtv, 9,90 Euro 

2 Kommentare zu “Räucherwerk”

  1. Frau W. Niemand schrieb:

    Mai 31, 15 at 15:12

    Hallo,
    ich lese Ihren Blog mit großer Begeisterung und fand gerade diesen Beitrag sehr gelungen. Eine wirklich schöne Anschauung der Unsitte der weggeworfenen Glimmstängel aka. brennende Sargnägel. Mich würde interessieren, ob ähnliche Riten im Bereich Batterie-Opfergaben an Haltestellen damit in Verbindung gebracht werden können, wie ich sie in Leipzig beobachtet habe und in meinem Blog (http://phaminmix.blogspot.de/2015/05/der-wundersame-zerfallsprozess-einer.html) beschrieben habe. Vielen Dank für die erheiternde Bereicherung meines Alltags.
    Mit freundlichen Grüßen
    Frau W. Niemand

  2. kainar schrieb:

    Okt 17, 15 at 06:26

    es ist ein brilliantes b i l d dabei
    da mit der U bahn treppe ist TOLL


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