VEB Suppina trifft Nivea oder Gesamtdeutscher Müll

Während eines Spaziergangs durch die Felder des brandenburgischen Havellandes schlug mein Archäologen- bzw. Müll-Archäologenherz hoch, es hopste sozusagen.

Kaum hatte ich den Spaziergang angetreten, stieß ich auf eine freigelegte Ackerfläche und was ich dort zu sehen bekam, erinnerte mich an meine eigenen Grabungen. Wie bei einer klassischen Ausgrabung war ein Teil des Oberbodens abgetragen und zur Seite geschoben worden und eine Vielzahl von Artefakten war ans Tageslicht gelangt.

Mein erster Gedanke: So muss sich ein Archäologe in ein paar hundert Jahren fühlen, wenn er ein Zeitfenster in das 20./21. Jahrhundert öffnet.

Natürlich wollte ich sofort wissen, was dort so alles zu Tage getreten war.

Zuerst fielen mir angerostete Metallgegenstände auf, die anscheinend zu landwirtschaftlichen Maschinen gehörten.

 

Alte Reifen gab es zu Hauf:

 

Und aus Gummi war auch ein Stiefel:

 

Teile von Kochgeschirr, wie einen Kochtopfdeckel und zerscherbtes Porzellan gab es ebenfalls zu entdecken:

 

Einen kleinen Einblick, was es noch zu finden und entdecken gab, geben die nächsten Bilder:

 

Interessant waren die Artefakte, welche die Möglichkeit boten, Rückschlüsse auf die Essgewohnheiten zu ziehen. Es gab Joghurtbecher in unzähligen Varianten, besonders angetan schienen die Menschen von der „Frischen Rahmbutter“ zu 1.75 Mark, deren leere Verpackung gehäuft zu finden war, leere Fischkonserven gehörten ebenso zum „Lebensmittelspektrum“ wie auch Glas- und Plastikflaschen.

 

Irgendwann habe ich mich gefragt, ob es Gegenstände gibt, mit denen ich datieren kann. Gedacht hatte ich zum Beispiel an Zeitungen, die mit einem Datum versehen sind. Aber Papier habe ich überhaupt nicht gefunden.

Aber dann gab es eine leere Suppentüte und sehr nah dabei lag eine Nivea-Dose, diese zwei Artefakte gaben mir dann einen Anhaltspunkt, in welche Zeit die „Ausgrabung“ zu datieren sei.

 

Das Havelland liegt bekannterweise auf dem Gebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, in der es Volkseigene Betriebe (VEB) gab. Nivea ist ein Produkt der Beiersdorf AG und wurde/wird in der Bundesrepublik hergestellt. Es gab noch mehr Abfälle, wie zum Beispiel Flaschen, die darauf hinweisen, dass sie entweder ein Produkt des Ostens oder des Westens sind.

Nach meiner oberflächlichen Inspektion dieser Grabungsfläche würde ich behaupten, dass diese „wilde Deponie“ bereits vor 1989 angelegt wurde, aber noch nach dem Mauerfall in Betrieb war. Eine gewissenhaftere Untersuchung der Grabungsfläche würde garantiert auch eine genauere Datierung bringen. Irgendwann nach 1989 hat man diese Deponie nach dem Motto „Aus den Augen aus dem Sinn“ zugeschüttet. Wo aber siedelten die Menschen, die diese Artefakte hinterlassen haben?

Sollte ich Rückschlüsse auf die Kultur ziehen müssen, würde ich sagen, dass es sich um eine bäuerliche Kultur handelte, die über entwickeltes technisches landwirtschaftliches Gerät verfügte, die sich hauptsächlich von Milchprodukten (Joghurt und Butter) ernährte, deren Speiseplan aber durch Fischkonserven aufgewertet wurde. Diese Kultur bzw. Gesellschaft kann als hochentwickelt angesehen werden, verfügte sie doch über die Kenntnis der Verarbeitung verschiedenster Materialien: Metall (landwirtschaftliches Gerät, Konservendosen), Stoffe (Weben), Gummi (Autoreifen und Gummistiefel), Plastik (Flaschen, Planen, Seile), Ton/Lehm (Backsteine, Ofenziegel).

Es gibt so viele Fragen an das Material und den Fundplatz. Zum Beispiel frage ich mich, ob die Ofenziegel darauf hin deuten, dass ein alter Kachelofen abgerissen wurde und durch einen neuen ersetzt wurde, oder ob im Zuge der Wiedervereinigung der Kachelofen durch eine Gas- oder Ölheizung ersetzt wurde.

Der Fundplatz ist ein El Dorado für Müll-Archäologen und sollten fünf Menschen an einer genaueren Untersuchung dieses Platzes interessiert sein, dann können diese sich bei mir melden und wir führen dort einen kleinen müll-archäologischen Workshop durch.

 

Ein Kommentar zu “VEB Suppina trifft Nivea oder Gesamtdeutscher Müll”

  1. Andreas schrieb:

    Sep 10, 14 at 16:56

    Bin in Chengdu grad auf Wohnungssuche. Hab in den letzten 48 Stunden 11 leerstehende Wohnungen angeschaut, und was ich in einigen davon gesehen habe, hätte Dein Müll-Archäologen-Herz aber auch hoch hüpfen lassen…
    (inkl. einer Schimmelzucht in einem Kühlschrankfach, und da sind, wie vielleicht erwartet, nicht die weißen Pferde gemeint…)


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