3. Juli 2011 – Großstadtaltäre

Do ut des – Ich gebe, damit du gibst.

Ein häufig zu beobachtendes Phänomen der Großstadt ist das exponierte Abstellen von Dingen. Für diese rituelle Handlung werden graue, freistehende Kästen am Straßenrand genutzt, die eine Höhe von ca. 1,50 m, eine ebensolche Breite und eine Tiefe von vielleicht 0,50 m aufweisen. Diese grauen Kästen haben ein oder zwei Türen, die immer verschlossen sind. Es ist anzunehmen, dass diese Türen als eine entwickelte Art der Ikonostasen zu verstehen sind, welche die profane von der spirtuellen Welt trennt, weshalb sie auch häufig mit amorphen Bildern verziert oder großflächig beklebt sind. Es konnten aber auch Altäre entdeckt werden, die sowohl reich mit Bildern als auch mit Papier geschmückt sind.

 

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Bei den Opfergaben auf diesen Altären handelt es sich in der Regel um Gefäße aus Pappe mit verschiedenen Dekoren, Ornamenten und Aufschriften. Einige dieser Pappbecher sind zusätzlich durch einen Plastikdeckel mit einer Trinköffnung geschützt.  Ob diese Becher mit Deckel bevorzugt von Kindern oder alten Menschen nach der Darbringung des Trankopfers auf den Altären abgestellt werden, konnte  nicht geklärt werden. Die schnabelartige Öffnung des Deckels scheint jedenfalls eine Schutz- oder Sicherungsfunktion im Ritual zu haben, um das unabsichtliche Verschütten des Trankopfers zu vermeiden.

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Beobachtet werden auch Altäre, die nicht nach allen Seiten frei stehen, sondern nur durch einen schmalen Spalt von anderen Bauwerken getrennt sind. In diesem Fall ist immer wieder festzustellen, dass sich die Opfergaben nicht auf dem Altar, sondern versteckt in der Nische zwischen Altar und Bauwerk befinden.

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Außer den Trankopfergefäßen finden sich auch Gefäße aus Porzellan und Plastik unterschiedlicher Machart auf den Altären, so dass unterstellt werden kann, dass die Altäre nicht ausschließlich dem Trankopfer vorbehalten sind, sondern auch für den Zweck des Speiseopfers genutzt werden.

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Überhaupt scheinen die Altäre eine ganz besondere Anziehungskraft zu besitzen, die weit über das Trank- und Speiseopfer hinausgeht: Sehr persönliche Gegenstände werden dort zur Opferung oder Gabe an die Götter abgelegt.

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Auch eine Vergesellschaftung der Altäre mit Plastikeimer kann immer wieder beobachtet werden, wobei sich diese Opfergaben nie auf dem Altar sondern immer neben ihm befinden.

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Welcher Gottheit oder welchen Gottheiten die Altäre gewidmet sind, konnte bisher noch nicht in Erfahrung gebracht werden. Mit der Entdeckung eines kultischen Steinreliefs scheint es nur noch eine Frage der Zeit zu sein, wann dieses Rätsel gelöst werden kann, zumal das Relief von einer Unzahl Glimmstängelreste umgeben war, die den Schluss nahe legen, dass auch Rauchopfer praktiziert werden.

 

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Ein Kommentar zu “3. Juli 2011 – Großstadtaltäre”

  1. Eva Becker schrieb:

    Nov 22, 11 at 08:38

    Seit gestern (21.11.11) ist das Rätsel um die Gottheit gelöst. In Indo-Asiatische Zeitschrift (15, 2011, S.83ff.) erschien ein Artikel mit dem Titel „Kunst im Kiez – Street Art in Moabit: An unexpected darsana of Uma-Mahesvara“ von Gerd Mevissen. Ich zitiere einmal aus der deutschen Zusammenfassung von S.90.

    Auch der Autor fand das Relief auf der Straße und ihm war „nach kurzer Betrachtung klar, dass es sich um etwas Indisches handeln musste. Schnell stellte sich heraus, dass es sich bei diesem Fragment mit dem Kopf einer weiblichen Figur und einer dahinter aufragenden Hand, die einen Dreizack hält, nur um ein Bildnis von Uma-Mahesvara handeln kann, ein Bildtyp, der in ganz Indien sehr häufig auftritt. Die Konsultation relevanter Literatur erbrachte den Befund, dass die starke Schrägstellung des Dreizacks äußerst ungewöhnlich und in Verbindung mit den zahlreichen Nebenfiguren bisher nur von einer einzigen Uma-Mahesvara-Skulptur bekannt ist, einer aus Orissa stammenden Stele, die im späten 12. oder eher im 13. Jahrhundert geschaffen wurde und Anfang des 19. Jahrhunderts von Charles Hindoo Stuart erworben wurde; seit 1872 befindet sie sich im British Museum London.
    Eine genaue Untersuchung der vorhandenen Details lässt den Schluss zu, dass es sich bei dem Moabiter Fragment um zwei Teile einer ursprünglich etwa 157 cm großen Sandsteinskulptur handelt, die entweder als Vorlage für das Londoner Stück diente oder aber nach diesem gearbeitet wurde. Als Herkunftsbereich kommt vermutlich die Cuttack-Region in Orissa in Betracht. Leider war ein genaues Aufmaß und weitere Untersuchungen am Objekt nicht mehr möglich, da das Fragment während der Ostertage Anfang April 2010 gestohlen wurde.“


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